Warum Bürgerräte die Demokratie stärken!

In einem telefonischen Interview der WAZ wurde ich am 23.06.2021 von der Redaktion um eine Stellungnahme zum Thema Bürgerräte gebeten. Ich habe dort meine persönliche Meinung wiedergegeben. Der erste Teil des wiedergegebenen Statements entspricht dem von mir abgegebenen Statement: Wir brauchen mehr BürgerInnenbeteiligung!

Wir sehen das große Engagement der Bürger:innen aktuell bei der Initiative „Rettet die Bäume“. Das Eintreten für die eigenen Interessen und Überzeugungen übernimmt eine wichtige Funktion in unserer Demokratie und stärkt die überparteiliche Partizipationsmöglichkeit. Auch am Helenweg brachte der BürgerInnenprotest den Anwohner:innen Gehör.

Dabei muss es nicht nur um umweltpolitische Belange gehen. In Blankenstein sehen wir beispielsweise schon seit langem ein sehr hohes bürgerschaftliches Engagement und eine gut funktionierende Kooperation zwischen Verwaltung und Initiativen um die Kulturlandschaft Hattingens zu stärken. Auch Heimatvereine, Interessensverbände und unabhängige Gruppen leisten einen wertvollen Beitrag zur Entscheidungsfindung und Diskussion. Diese Stimmen, und auch die Stimmen von Einzelpersonen, können in einem Bürgerrat strukturiert wertgeschätzt- und in den politischen Willensbildungsprozess eingespeist werden.

Im WAZ-Artikel wurde ich daher mit dem Satz „Wir müssen dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger informiert und dann auch gehört werden“ vollkommen richtig zitiert. Wie in der Stellungnahme der Bergischen Universität Wuppertal (Stellungnahme 17/1409 des Landtags NRW) erwähnt wird, wird der Wissenserwerb über politische Strukturen und Prozesse vor allem im Schulbereich und familiären Kontext erworben. Umso bedeutender ist es, dass dort, wo Defizite vorhanden sind, diesen im Rahmen der politischen Bildung im schulischen und außerschulischen Kontext begegnet wird, so dass diese bestenfalls gar nicht erst entstehen.  

In dem abgedruckten WAZ-Interview heißt in einem von mir gegebenen Zitat, dass Bürgerräte nicht repräsentativ sind, das Meinungsbild verfälschen und keine strukturelle Sicherheit in der Abfrage bieten. Dies ist verkürzt dargestellt. Diese Aussage bezog sich auf einen rein zufallsbasierten – und nicht repräsentativ zusammengestellten Bürgerrat.

Zusammen mit dem Argument der weiter auszubauenden politischen Bildung habe ich gesagt, dass ich hier entsprechende strukturelle Probleme sehe, insbesondere bei einer reinen Zufallsauswahl. So ist weder den engagierten Menschen noch der örtlichen Politik geholfen, wenn bei einer zufälligen Auswahl von 20 Bürger:innen die Hälfte nicht anwesend ist (hier gilt es das Empowerment zu stärken!), oder der Bürgerrat nicht repräsentativ vertreten ist. Je nach Zufallsauswahl kann sogar ein erhöhtes Missverhältnis gegeben sein, wenn sich z.B. unter der Zufallsauswahl alleinig Menschen mit höhere Bildungsniveaus und einseitige Interessensvertretungen wiederfinden. Dagegen habe ich mich ausgesprochen.

Es gibt aber auch die gestaffelte Zufallsauswahl, siehe: https://www.buergerrat.de/buergerrat/buergerrat-auf-bundesebene/losverfahren/so-funktioniert-das-losverfahren/ . Hier wird trotz einer Zufallsauswahl gewährleistet, dass die Verteilung soziodemografischer Merkmale im Bürgerrat möglichst genau der Verteilung in der Gesamtbevölkerung entspricht. Das ist absolut zu befürworten. Meine Kritik bezog sich allein auf die reine Zufallsauswahl.

Denn es ist nach den Untersuchungen von Schäfer („Mehr Demokratie, aber nur für wenige? Der Zielkonflikt zwischen mehr Beteiligung und politischer Gleichheit“) und der Stellungnahme der Bergischen Universität Wuppertal mehr als deutlich geworden, dass sich insbesondere Gruppen mit höherem Bildungsniveau und mind. mittlerem Einkommen an Wahlen beteiligen. Aleatorische Beteiligungsformen, so die Untersuchungen, führen dazu, dass „die Beteiligung von politisch apathischen Bürgerinnen und Bürger durch eine gezielte Ansprache“ (Bergische Universität Wuppertal, Stellungnahme 17/1409 Landtag NRW, S.4) gefördert wird. Darum haben Bürgerräte eine absolute Berechtigung und können die Möglichkeit eröffnen, eine breitere Diskussion zu ermöglichen.
Wie dem Bericht der Kommission zu entnehmen ist (S.66ff.) vertreten die Mandatsträger im Idealfall alle sozialen Gruppen in gleicher Weise. Wie bei Idealtypen allerdings üblich, ist dies nicht zu gewährleisten. Persönlich erscheint mir die breite Vertretung in Hattingen zwar von Handwerker:innen, Hausmännern und Hausfrauen, Geisteswissenschaftler:innen, Ingenieur:innen, Büroangestellten etc. gegeben. Repräsentativ ist dies allerdings wohl in der Verteilung nicht. Das darf aber dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Fraktionen, hier kann ich nur für die Grünen sprechen, offen für Dialog mit Bürger:innen und Interessensverbänden sind. Das war damit gemeint, dass wir „mitten aus der Gesellschaft kommen“. Denn wir sind selbst eingebunden in lokalen Vereinen, man kann uns in der Altstadt genauso treffen, wie beim Einkaufen im lokalen Einzelhandel oder beim Debattieren im Rathaus. Wir sind ehrenamtlich engagierte Politiker:innen, sind gewählte Vertreter:innen und doch ganz nahbar und zentral mit der lokalen Gemeinde verknüpft.

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Zusammenfassend heißt das: wir Grüne stehen für offene Beteiligungsformen und eine breite Partizipation. Das schließt alle Gruppen mit ein. Insbesondere aber auch die Gruppen, welche z.B. aufgrund ökonomischer-, familiärer-, sozialer-, oder auch gesundheitlicher Faktoren nicht die Möglichkeit haben, sich einzubringen. Wir stehen für einen offenen Dialog. Bürgerräte können dazu beitragen, notwendige Mitwirkungs- und Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen.

Dies ist nicht durch eine reine Zufallsauswahl zu gewährleisten. Eine gestaffelte Zufallsauswahl, bzw. eine Auswahl entlang soziodemographisch repräsentativer Kriterien (Abschlussbericht der Enquetekommission, S.68) ist hingegen absolut zu befürworten. Somit komme ich zu dem Schluss, dass Bürgerräte – welche repräsentativ zusammengestellt sind –  die Demokratie und die Partizipationsmöglichkeiten stärken und meine volle Zustimmung haben.     

Oliver Degner