Inklusionsveranstaltung am 05.09.12

In einer Diskussionsveranstaltung auf hohem Niveau wurde im Alten Rathaus das Thema „Inklusion und die Auswirkungen auf die Hattinger Schullandschaft“ beleuchtet. Grüne/FWI hatten eingeladen und ca. 30 Teilnehmer tauschten bisherige Erfahrungen und Kenntnisse fachkundig aus.

Moderiert von Frank Staacken führten Bernd Leven (Rektor der Förderschule St. Georg) und die für Förderschulen zuständige Schulrätin König in die Thematik ein.

Rechtliche Basis für die Inklusion ist die Behindertenrechtskonvention, welche seit 2009 auch deutsches Recht ist. Da Schule und Bildung der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegen, müssen diese nun die durch die Konvention garantierten Rechte in speziellen Gesetzen konkretisieren. In NRW gibt es dazu bisher nur ein „Eckpunkte-Papier“ als Absichtserklärung der Landesregierung.

Die Umsetzung der Inklusion in die schulische Praxis ist allerdings schon begonnen worden. Aufgrund der fehlenden Vorgaben kennzeichnet diesen Prozess einerseits seine Offenheit, andererseits aber auch seine Unsicherheit in der konkreten Gestaltung. Trotz der Unsicherheit, ja oft Ratlosigkeit der weiterführenden Schulen ist der Druck in Richtung Inklusion groß: Von oben besteht der politische Wille, die Inklusion als gesamtgesellschaftliche Aufgabe durchzusetzen, von unten erfolgt der Druck der Eltern, deren Kinder erfolgreich eine integrative Beschulung in der Grundschule erlebt haben.

Konsens war bei dem sehr fachkundigen Publikum, dass mit der Inklusion innerhalb unseres dreigliedrigen Schulsystems der zweite Schritt vor dem ersten vollzogen wird. Das dreigliedrige System ist nämlich auf Segregation hinsichtlich Anforderungen, Qualifizierung und Leistung ausgerichtet. Die jeweiligen Schultypen (Gymnasium, Realschule, Hauptschule) sind vor allem „output“-orientiert. Bringt ein Schüler die geforderten Leistungen nicht, so muss er die Schule verlassen, er wird „abgeschult“. Diese Struktur steht dem Inklusionsgedanken diametral entgegen. Folglich müsste die Dreigliedrigkeit aufgegeben und zu einer wirklich integrativen allgemeinen Schulform des Sek. I Bereiches verändert werden. Einen Ansatz dazu bietet bereits die bestehende Gesamtschule. Bei der bisherigen Handhabung könnte, laut Aussage eines Schulleiters, die groteske Situation entstehen, dass einem Schüler mit Real- oder Hauptschulempfehlung der Eintritt ins Gymnasium verweigert werden kann, ein geistig behindertes Kind im Rahmen der Inklusion jedoch aufgenommen werden muss.

Eine Intention der Veranstaltung war der Dialog der Fachleute aus der Schulpraxis mit der Politik. Kernfrage der Fraktion Grüne/FWI war, inwieweit der neu aufgestellte „Schulentwicklungsplan“ der politischen Zielsetzung der Inklusion gerecht wird. Da das zukünftige Elternverhalten bei der Schulwahl zur Zeit noch nicht seriös abzuschätzen ist, lassen sich viele heute noch offene Fragen erst bei einer Fortschreibung des SEP´s angemessen beantworten. Die Kommunalpolitiker und damit die Stadt Hattingen können jetzt also gar nicht adäquat reagieren auf die künftigen Anforderungen durch die Inklusion.

Trotzdem konnten die anwesenden Pädagogen und Fachleute anhand von bereits existierenden Beispielen – positiven wie negativen – Bedingungen für eine erfolgreiche Inklusion benennen:

Übereinstimmend wurde deutlich, dass 2 Stunden/Woche für jedes behinderte Kind für die Förderung durch einen Fachlehrer an der Regelschule viel zu wenig sind. Das Stundenkontingent muss deutlich ausgeweitet werden. Gerade für behinderte Kinder sind die personelle Kontinuität der Betreuungsperson sowie die Verlässlichkeit der Förderung elementar für den Erfolg.

Personelle Sparlösungen können nach den Erläuterungen einer Jugend- und Kinderpsychiaterin zur psychischen Katastrophe im Entwicklungsprozess von Kindern führen. Inklusion verkehre sich dann in eine Exklusion innerhalb der gleichaltrigen Gruppe, in der Klasse und Schule.

Die Stadt Hattingen als Schulträger ist verantwortlich für die sächliche und räumliche Voraussetzung zur erfolgreichen Inklusion. Für die behinderten Kinder muss sehr viel zusätzliches Lern-, Arbeits- und Spielmaterial zur Verfügung stehen. Aber auch die Schulräume müssen völlig anders gestaltet werden. Ein positives Beispiel aus Wuppertal zeigt, dass jede Klasse/Lerngruppe mindestens zwei miteinander verbundene Räume braucht. Dazu gehören nicht nur Arbeitsbereiche, sondern auch Rückzugsmöglichkeiten. Selbst eine eingebaute Küchenzeile stehe dort zur Verfügung.

Welche weiterführende Schule in Hattingen ist barrierefrei für körperbehinderte Kinder? Keine. Auch hier wäre die Stadt gefordert, entsprechende Umbaumaßnahmen durchzuführen.

Ein Diskussionsteilnehmer stellte aufgrund eigener Erfahrungen aus dem sonderpädagogischen Integrationsunterricht die dringende Forderung auf: Umfassende Fortbildung der Lehrkräfte an den weiterführenden Schulen. Deren Ratlosigkeit und Unsicherheit im Umgang mit Behinderten resultiere daraus, dass sie keinerlei Ausbildung dafür durchlaufen hätten. Inklusion würde durch diesen von den Pädagogen nicht verschuldeten Mangel oft völlig konterkariert.

Wesentlich im Eckpunkte-Papier der Landesregierung zur Inklusion ist das Wahlrecht der Eltern, ob ihr Kind in eine Förderschule oder in eine Regelschule gehen soll. Daraus entsteht auch eine besondere Mitwirkungspflicht und Unterstützung der Eltern, damit die Inklusion zum Erfolg führt. Eine andere Konsequenz aus dem Wahlrecht ist auf kommunaler Ebene die Frage nach dem weiteren Bestand von Förderschulen.

In politischen Kreisen Hattingens wurden bereits Stimmen laut, der Umzug der St. Georg-Förderschule in die Räume der ehemaligen Hauptschule an der Lessingstraße sei gar nicht mehr erforderlich, da sich mit der Inklusion das Thema „Förderschule“ von selbst erledige.

Dem wurde deutlich widersprochen. Das Wahlrecht der Eltern impliziere, dass in jedem Fall eine Förderschule auch angeboten werden muss, zumindest regional. Aufgrund des schlecht abschätzbaren Wahlverhaltens sei es nach einer ersten Phase hin zur Regelschule sehr wahrscheinlich, dass ein Rücklauf zur Förderschule wenige Jahre später folgt.

Mithin wäre es töricht, bestehende Strukturen zu gefährden oder gar zu zerstören, auf die die Stadt dringend angewiesen ist.

Ein wesentlicher Aspekt, der St. Georg-Förderschule am neuen Standort bessere Arbeitsbedingungen zu sichern, ist die durch die Qualitätsanalyse ermittelte hervorragende Zertifizierung der Schule. Dort existiert ein unschätzbar wertvoller „pool“ an Fachkompetenz, den es gerade im Kontext der Inklusion zu erhalten und zu nutzen gilt. Angesichts der Zunahme von Mehrfachbehinderung und sehr komplexen Behinderungsformen kann man nicht auf hochkompetente Förderschulen verzichten.

Nach Jahrzehnten des Wartens auf bessere räumliche Bedingungen für die angemessene Förderung von Kindern darf die Hattinger Politik aus Spargründen nicht auf Zeit spielen. Der Umzug der St. Georg-Förderschule darf nicht verzögert werden.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete der Konsens, dass Inklusion gewünscht und gewollt wird. Es wurde deutlich, dass dies eine Generationenaufgabe sei, die nicht allein von der Schule bewältigt werden könne. Die gesamte Gesellschaft müsse umdenken und inklusiv werden. An zentraler Stelle stehe das Wohl der Kinder. Auf deren Probleme und Bedürfnisse müssten Eltern und Pädagogen individuell eingehen. Dazu müssen aber die Strukturen und Bedingungen der Inklusion besonders sorgfältig geschaffen werden. Die Einführung der Inklusion „auf die Schnelle“ könne nicht gelingen. Die Bedingungen und Umstände einer pädagogisch erfolgreichen Umsetzung der Inklusion müssen gesetzlich bald und klar formuliert sein. Mit dieser positiven Erwartung schloss der Diskurs.

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