Haushaltsrede zum Etat für das Jahr 2017

Hinweis zur Leseversion:

Die folgende Haushaltsrede wurde in der Stadtverordnetenversammlung vom 01.12.2016 in etwa so gehalten, wie im folgenden abgedruckt. Wegen des engen Zeitkontingents wurden einige Sätze spontan ausgelassen; teils mussten während der Rede aber auch kurze Ergänzungen und Bezüge zu vorausgegangenen Reden spontan eingefügt werden. Im Nachhinein lässt sich nicht mehr jeder Halbsatz
rekonstruieren.

Das für die Hattinger Bürgerinnen und Bürger Wichtigste vorweg: Zum Zeitpunkt dieser Rede war bereits mitgeteilt worden, dass sich knapp eine Woche vor der Ratssitzung durch eine neue Positionierung der Kommunalaufsicht und durch Erschließung neuer Einnahmepositionen völlig überraschend die Möglichkeit eröffnete, von dem Vorjahresbeschluss der zweijährigen Hebesatz-Satzung deutlich
nach unten abzuweichen und die Grundsteuer B bei 875 %-Punkten zu belassen (statt sie auf 950 %-Punkte zur Realisierung des Haushaltsausgleichs anzuheben).

Haushaltsrede zum Etat für das Jahr 2017

In der Ratssitzung am 01.12.2016, TOP 10: Haushaltssatzung 2017 einschließlich Stellenplan und Haushaltssanierungsplan 2017 – 2021

Sehr geehrter Herr Bürgermeister [Dirk] Glaser,
sehr geehrter Herr Kämmerer [Frank] Mielke,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger von Hattingen,

noch bis zum vergangenen Montag sah alles ganz anders aus! Und unsere Fraktion musste die Frage beantworten, ob wir der Bevölkerung eher die Pest oder die Cholera zumuten müssten:
Wären die zwangsläufigen Bedingungen für einen ausgeglichenen Haushalt mit Hebesätzen jenseits der Schmerzgrenzen eher zu tragen als die Folgen eines nicht ausgeglichenen und damit nicht genehmigungsfähigen Haushalts?
Das war die Frage, mit der wir uns wochenlang beschäftigt habe, wobei wir als Fraktion auch alle öffentlichen oder uns per Post oder Email zugegangenen Anregungen, Bitten und Proteste in unseren Diskussionen berücksichtigt haben.

Inzwischen können wir von immer noch sehr hohen, aber nicht so erdrückenden Hebesätzen ausgehen, wie ursprünglich im HH-Entwurf vorgesehen. Somit war auch der Entwurf für meine Haushaltsrede seit Montag Makulatur.

Das größte Ärgernis war die vorgesehene Erhöhung des Hebesatzes für die Grundsteuer B von 875 auf 950 %-Punkte.

Hierzu mahnt der Bund der Steuerzahler:
„ … sollten die Verantwortlichen die Hebesatzanpassung [950 %-Punkte bei der Grundsteuer B] überdenken, weil sie unsozial ist. Stattdessen sollten die politisch Verantwortlichen nach Einsparpotenzialen suchen und bei der Etat-Sanierung auf der Ausgabenseite ansetzen.“ – eine fürwahr grandiose Idee! Warum ist in den vergangenen 22 Jahren der Haushalts-Konsolidierung, der Haushalts-Sicherung und der Haushalts-Sanierung niemand im Hattinger Rat und in der Kämmerei auf diese
naheliegende Idee gekommen? – Seien Sie dessen versichert: Auch wir sind sehr schnell auf diese Idee gekommen und sparen die Stadt seitdem fast zu Tode.

Warum haben wir denn wohl öffentliche Einrichtungen geschlossen: wie das Hallenbad an der Talstraße, Stadtteilbibliotheken, das Kulturbüro … Produkte des Haushalts ganz gestrichen – in diesem Jahr den Umweltschutz, haben schon deutlich mehr als die Hälfte von angestrebten 100 Stellen gestrichen mit der Folge einer unerträglichen Arbeitsverdichtung in vielen Teilen der Verwaltung.

( … )

Das Sparen auf der Ausgabenseite bleibt leider nicht folgenlos. Natürlich ist ein Hebesatz der Grundsteuer B in Höhe von 950 %-Punkten nicht sozial – auch keiner in der jetzigen Höhe von 875 %-Punkten; aber ist auf der Ausgabenseite die Aufgabe des Ferienspaßes mit Freizeitangeboten auch für Kinder aus armen Familien weniger unsozial? Ist die Schließung von intensiv genutzten Bildungsangeboten, von Jugendfreizeiteinrichtungen, möglicherweise zukünftig des Freibades oder anderer Einrichtungen etwa sozial? Wir denken: NEIN!

Vor zwei Jahren habe ich hier gesprochen über „Haushaltsberatungen in Zeiten der Fremdbestimmung“. Dieses Ausgeliefertsein an Rahmenbedingungen, die andere setzen, und denen wir nicht entrinnen können, ist nicht zurückgegangen. Dennoch ist das spezifische Merkmal der diesjährigen Haushaltsberatungen nicht mehr die Fremdbestimmung, sondern die Respektlosigkeit, mit der die Bemühungen der Politik um einen Haushaltsausgleich kommentiert werden.
Da erleben wir fast täglich selbstgerechte und selbstgefällige Besserwisserei vieler Zeitgenossen, die selbst zwar keinen einzigen realistischen Vorschlag zur Haushaltskonsolidierung vorbringen konnten, der Verwaltung und insbesondere der Politik jedoch unverfroren Dummheit, Faulheit und Selbstbedienung bzw. Bereicherungsabsichten unterstellt haben.

Lassen Sie mich eine Email vom 13.11.2016 zitieren:

„ … in der Stadt hätte ich doch erwartet, das[s] die Grünen auf der Seite der Bürger stehen. Oder geht es wieder mal um „Pöstchen“ im Stadtrat. Die Bürger werden über Gebühr belastet, weil die Politik nicht in der Lage ist, zu haushalten. Ich bin echt enttäuscht und froh, nicht mehr Mitglied der Grünen zu sein.“

So etwas müssen sich Ratsmitglieder in diesem Herbst fast täglich anhören bzw. lesen. Wo bleibt da die ernsthafte Auseinandersetzung mit einem ernsten Problem? Den Frust rauszulassen, gehört auch zum Leben. Aber dann muss man sich um konstruktive Lösungen bemühen. Wer sich darauf einzulassen bereit ist, wird weiterhin in der Politik dringend gebraucht. Sich bequem abzuseilen und das mühsame Ringen um gerechte Entscheidungen anderen zu überlassen, ist wenig hilfreich.

Wutbürger können zwar ihren Frust kurzfristig loswerden, sie bringen uns der Lösung aber nicht näher und vergiften das öffentliche Klima nachhaltig. Wer sich redlich bemüht, den Karren aus dem Dreck zu ziehen und dabei auch bereit ist, Kompromisse einzugehen, der sollte nicht durch haltlose Diffamierungen und
öffentliches Mobbing beschädigt werden.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Jede kritische Begleitung ist erwünscht; aber sie ist selten geworden in diesem Herbst. In Zeiten der sozialen Medien ist es so leicht, sich hinter einem Pseudonym zu verstecken und aus der Deckung heraus wild vom Leder zu ziehen. (Das ist doch armselig!)

( … )

Die mündigen Bürgerinnen und Bürger, die unsere Gemeinwesen ausmachen und die Grundlage jeder Demokratie sind, sollten sich solchen postfaktischen Haltungen versagen und sich nicht von Gefühlen und gezielter Meinungsmache verantwortungsloser Medien in die Arme der Vereinfacher treiben lassen.

„Einfach“ – das wäre ja so schön – und so schön übersichtlich.
Aber wir gestalten keinen gerechten Haushalt mi einem fairen Interessenausgleich, wenn wir Schwierigkeiten personalisieren anstatt Probleme zu analysieren und wirksame Maßnahmen zu entwickeln.

( … )

Auch wenn wir den Haushalt mittragen, den Stellenplan würden wir diesmal ablehnen, wenn eine getrennte Abstimmung wie in früheren Jahren möglich wäre.

Lassen Sie mich die Gründe dafür kurz erläutern:

Da soll zunächst einmal – abweichend von unseren jahrelangen Bemühungen um Personaleinsparung – ein neuer Fachbereich (FB 40) geschaffen werden, und ein neuer von Außen kommender Fachbereichsleiter einsetzen werden.

Da muss man sich fragen: „ist das zwingend erforderlich? Welches Problem ist so gravierend, dass diese organisatorische Maßnahme trotz der gewaltigen dauerhaften Kosten von 105.000,- € pro Jahr gerechtfertigt erscheint, und verspricht sie als einzig denkbare Maßnahme Erfolg?“.

Das seit Jahren bekannte Problem liegt darin, dass im FB 51 (Jugendamt) keine Planerin mehr vorhanden ist, nachdem diese ins technischen Dezernat versetzt wurde. Ein Ersatz wurde dem Jugendamt verweigert. Auch die zusätzlichen Stellen, die mit dem Nachtrag zu diesem Haushalt endlich bewilligt werden, sind seit Jahren überfällig.

Unstreitig braucht die Stadt Hattingen zur Schul- und Jugendhilfe-Entwicklungsplanung zusätzliches qualifiziertes Personal. Aber nicht – wie jetzt kolportiert wird – weil die Jugendamtsleitung oder die Dezernentin schlecht gearbeitet hätten, sondern weil die erforderlichen Stellen seit Jahren nicht genehmigt werden. Wenn der Fachbereich diesen Bedarf seit Jahren anmeldet, muss man die Verantwortlichen für den Missstand woanders suchen.

Was aber ist die Lösung des Problems? Ein neuer von Außen eingekaufter Fachbereichsleiter auf einer A 14-Stelle? Wohl kaum! Die sachgerechte Lösung wäre eine zusätzliche Mitarbeiterin / ein zusätzlicher Mitarbeiter etwa im Rang eines Abteilungsleitenden, der die erforderlichen Planungen aufstellt, begleitet und kontinuierlich fortschreibt.

Und eins muss noch in diesem Zusammenhang zurecht gerückt werden:
Abweichend von der Unterstellung eines gewissen Herrn Laibacher, dass die Neustrukturierung der Führungsaufgaben im Dezernat III für BM Dirk Glaser unausweichlich geworden wären, weil der zuständige Fachbereich zuletzt Rechnungen in Höhe von 240.000,- € an Kostenträger der Jugendhilfe nicht abgerechnet habe, muss klargestellt werden, dass es sich dabei um mögliche Einnahmeverluste handelt, die zum Teil bereits so alt sind, dass sie noch in die Amtszeit der Vorgänger jener von Laibacher an den Pranger gestellten Dezernentin und des FB-Leiters im Jugendamt fallen. Wer mit massiven Vorhaltungen tagelang Schlagzeilen füllt, sollte zuvor wenigstens einmal sauber recherchiert haben.
Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, welches nicht als Freibrief für verantwortungslose öffentliche Spekulationen zu Lasten konkreter Personen missbraucht werden darf.

Doch zurück zum Stellenplan, den wir – wie bereits gesagt – ablehnen:
Seit Jahren bildet der FB 42 das zentrale Reservoire zur Personalreduzierung. Betroffen sind die VHS mit dem Abbau einer HPM-Stelle, das Stadtmuseum mit weiterem Stellenabbau, das Kulturbüro mit Totalabbau. Dazu wäre noch vieles im Detail auszuführen – doch die Zeit habe ich jetzt nicht.

Auch den Haushalt selbst müsste meine Fraktion eigentlich ablehnen:

In diesem Jahr haben wir uns im Sinne der Haushaltsdisziplin Anträge zur Anpflanzung weiterer Bäume und Verbesserung der städtischen Radwege versagt.

Nach den jährlichen Kürzungen im sowieso sehr spärlichen Umweltbereich – mit ehemals Ökomarkt und anderen wichtigen Bestandteilen – wird nun auch noch das Produkt (60.04) „Umweltschutz“ selbst ganz aus dem Haushalt gestrichen. Welch eine Symbolik: Hattingen von nun an ohne Umweltschutz – und die Grünen stimmen zu. Da fällt die Kompromissbereitschaft – aus umfassenderen Erwägungen – nicht leicht!

Dennoch:
Wir werden – mehrheitlich – den Haushalt mittragen – auf der Grundlage einer Hebesatzentscheidung für 600 / 875 / 515 %-Punkte.

Abschließend:
Ich habe auch zu danken:

Mein Dank geht an die Teile der Bevölkerung, die unsere Gemeinwesen trotz aller finanzieller Einschränkungen und persönlichen Belastungen weiter lebenswert erhalten. Nicht nur im Bereich der Flüchtlingsbetreuung, sondern in weiten Bereichen der sozialen Arbeit, der Bildung, Kultur und des Sports ( … ) ist Hattingen auch deshalb noch eine lebenswerte Stadt, weil Sie alle dieses Gemeinwesen durch Ihren Einsatz stärken.

Dank auch an die Kolleginnen und Kollegen im Rat, die unter Zurückstellung eigener politischer Wünsche den gemeinsamen Antrag zu einem ausgeglichenen Haushalt mittragen. Wenn diese Kompromissbereitschaft verlorenginge – wäre die demokratische Kultur unserer Stadt ernsthaft gefährdet.

Vielen Dank für Ihre konstruktive Mitwirkung!

F. S T A A C K E N
– Fraktionsvorsitzender –

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