Etatrede 2008

Einige Sachverhalte, die in den Fachausschüssen behandelt wurden, möchte ich gerne kommentieren.
Im Stadtentwicklungsausschuss einigten wir uns, dass es jetzt ein sinnvoller Zeitpunkt ist, ein Konzept für die Obere Heggerstraße und den Marktplatz zu entwickeln. Meine Fraktion hat sich lange gesperrt. Aus gutem Grund: wir wollten zunächst wissen, welche Entwicklung es am Reschop gibt. Jetzt haben wir Klarheit und dem kommerziellen Schwergewicht des Reschop-Carres müssen wir städtebauliche Akzente entgegensetzen. Dies geht allerdings nicht allein von städtischer Seite. Handel und Gewerbe in der Oberen Heggerstraße müssen selbst aktiv werden und müssen selbst zu Investitionen bereit sein.

Als Blankensteiner freut mich die Entscheidung, die Sporthalle dort neu zu bauen. Sinnvoll ist dies in Hinsicht auf die Schule, aber auch für die dort aktiven Vereine und eine wachsende Zahl von Senioren, mit deren sportlicher Aktivität wir künftig verstärkt rechnen müssen.
Für den Sport in Hattingen haben wir zwei Aufgaben in diesem Jahr zu lösen:
Förderrichtlinien müssen endlich Klarheit schaffen. Die bisherige Praxis von Einzelentscheidungen oder Förderung nach Gutdünken muss beendet werden. Es ist immer wieder verblüffend, wie lange sich eine früher eingeführte Politik nach Gutsherrenart halten kann.
Die städtischen Sportstätten in einen „Betrieb gewerblicher Art“ zu überführen, muss zügig entschieden werden. Die Vorteile liegen auf der Hand, Vorbehalte von Sportvereinen scheinen mittlerweile abzunehmen.

Was unsere eigenen Anträge angeht, freut es uns, dass, dank des hartnäckigen Nachhakens meines Fraktionskollegen Frank Staacken, ein Wohlwollen bei den anderen Fraktionen erkennbar geworden ist.
Integrationsarbeit muss als Produkt mit Zielvorgaben im Etat erkennbar werden. Auch wenn es sich hier um eine Querschnittsaufgabe handelt, kommt man um eine Zentralisierung der Verantwortung und Steuerung nicht herum. Wir haben Ziele und Produkte vorgeschlagen. Das Signal an die Verwaltung, in diesem Sinne konkretisierend tätig zu werden, ist deutlich geworden.
Unser Antrag zum „Bürgerhaus für Soziokultur und bürgerschaftliches Engagement“ hat als Ziel, eine kommunikative Infrastruktur für alle Schichten und Gruppen der Bevölkerung zu schaffen. Kulturinteressen können unter einem Dach zusammengeführt werden, interkultureller Austausch als Form des friedlichen Zusammenlebens soll dort eine Heimstatt finden. Ein Bürgerhaus wäre ein Standbein für Kultur in Hattingen.
Irritierend war der Kommentar der Bürgermeisterin zu diesem Antrag. Sie schien zurückzufallen auf eine Position vor 1999. Umso erfreulicher waren die Äußerungen der anderen Fraktionen, die die Diskussion inhaltlich offen und im Zusammenhang mit dem Strategiekonzept 2020 führen wollen. Erste Ergebnisse dieses Prozesses könnten dann 2009 vorliegen.

Zunehmende Probleme erwartet meine Fraktion im Jugendhilfebereich. So wird uns Kibiz (das Kinderbildungsgesetz) in den folgenden Jahren in mehrfacher Hinsicht beschäftigen:
In einem fraktionsübergreifenden Kompromiss gelang es die Elternbeiträge in ihrer Erhöhung abzufedern. Allerdings belastet die neue Beitragstabelle den kommunalen Haushalt. Die Landesregierung schreibt vor, dass 19 % der Kosten durch Elternbeiträge zu decken seien. Eine Zahl, die in NRW selten erreicht wird, wie auch das Beispiel Hattingen mit nur 14,3 % Kostendeckung zeigt.
(Aber wir sind es ja gewöhnt, dass vollmundig verkündete Programme von Bund und Land schließlich von den Kommunen bezahlt werden müssen)
Das bisherige Anmeldeverfahren zeigt, dass die Kindertagesstätten Ort vorschulischer Bildung von den Eltern anerkannt werden. Die von der Landesregierung offensichtlich ganz anders eingeschätzte Nachfrage nach Betreuungsplätzen und –zeiten löst jetzt allerdings Struktur- und Personalprobleme aus, die wir hier vor Ort schnell lösen müssen. Wesentlich ist dabei, dass die Umsetzung von Kibiz nicht zu Lasten der Qualität der Betreuung geht.
In Kürze könnten wir auch mit einem grundsätzlichen Problem beim Angebot von Kinderbetreuung konfrontiert werden. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit steht die Einführung kommerzieller Kitas in größerem Stile bevor. Eingeleitet wurde der Privatisierungsprozess bereits 2004 durch das „Tagesbetreuungsausbaugesetz“ von der Bundesfamilienministerin. (NRW ist bisher das einzige Bundesland, das seither Regelungen mit der Stoßrichtung zur Kommerzialisierung von Kitas vorgenommen hat.) Ergänzt wird die Initiative der Ministerin durch das sog. „Krippengesetz“, das z.Z. im Verfahren ist.
Demnach haben kommerzielle Kitas sogar einen Anspruch auf Förderung durch die Kommunen. Dies bedeutet zusätzliche Belastungen der kommunalen Etats.
Wir müssen uns aber darüber klar sein, dass das Ziel von Privatunternehmen ausschließlich die Rendite ist. Der soziale Erziehungsauftrag ist immer nachrangig. Die Betreuung von Kindern darf nicht zum Vehikel von Gewinnerwirtschaftung werden.

Führt die zusätzliche Einrichtung von 2,5 Stellen im Jugendbereich zum Erfolg? Die eindringlichen Berichte aus den Abteilungen Erziehungsberatung, Erziehungshilfe und Jugendförderung bewegten die Fraktionen schnell zu dieser Entscheidung. Trotzdem wird uns immer stärker bewusst: wir bekämpfen nur die Symptome, nicht die Ursachen.
Als Ursache wurde immer wieder in der Sitzung des JHA die „Überforderung der Eltern“ genannt. Woher kommt die aber? Sie ist das Resultat gesellschaftlicher Entwicklung der letzten 25 Jahre:
Eltern sind Opfer einer Berufswelt, die unter dem Signum eines schrankenlosen „Liberalismus“ immer mehr Menschen am Rand des sozialen Absturzes balancieren lässt.
Viele Eltern in prekärer Lebenslage mussten leidvoll erfahren, dass sich der Stärkere durchsetzt, ohne Rücksicht auf die Folgen seines Handelns nehmen zu müssen. Eine Erkenntnis, die leider auch das Familienleben und die Erziehung prägt.
Eltern sind Opfer der ökonomischen Forderung nach „Flexibilität“, die die Familienbande an ihre Zerreißgrenzen führt – und darüber hinaus.
Eltern und Kinder sind Opfer einer „Privatisierung“ und „Deregulierung“, die uns neben anderen Segnungen eine schöne, neue Medienwelt beschert hat, in der die Würde des Menschen höchstens noch zu einer Lachnummer taugt. Von dümmlich bis zu gewalttätig werden Verhaltensmuster propagiert und adaptiert, die in einem schreienden Gegensatz zu einer aufgeklärten demokratischen Zivilgesellschaft stehen.
Diese Einsicht in die wirklichen Ursachen ernüchtert.

In den Schulen kündigt sich der Umbruch an: Ganztagsschulen sollen ab 2009 flächendeckend eingeführt werden, auch für Realschulen und Gymnasien. Das ganze Vorhaben kann man im Moment noch als Ankündigungspolitik vor den Kommunalwahlen bewerten. Von daher haben wir nicht den Zeitdruck hier vor Ort, denn einiges ist vom Schulministerium nur halb zu Ende gedacht (man kennt das ja!). Grundsätzlich ist die späte Einsicht der Landesregierung zu begrüßen, aber die Erfahrung mit den bisherigen Reformen lässt Schlimmes ahnen. Der Blick auf die Finanzierung bestätigt diese Vermutung: 100.000 € pro Schule wirken recht kläglich. Die geforderte Kofinanzierung von weiteren 100.000 € durch die Gemeinden wird im Endeffekt deutlich über diese Summe hinausgehen.

Zwang zum Handeln sehen wir allerdings bei der Hattinger Hauptschule: 13 Anmeldungen liegen dort nur vor. Damit ist noch nicht einmal die Mindestzahl für eine Klassenbildung erreicht. Aufwand und pädagogischer Nutzen der Institution stehen in keinem Verhältnis zueinander. (Wohlgemerkt: ich spreche über Strukturen, nicht über pädagogische Arbeit!)
Die Weichen für die Bildungszüge Hattingens müssen dieses Jahr gestellt werden. Die Richtung hat unser Antrag vom letzten Jahr vorgegeben:
• Kooperation mit der Hauptschule Sprockhövel
• Aufgabe der Hattinger Hauptschule
• Umzug der Förderschule St. Georg in die Räumlichkeiten an der Lessingstraße

Lassen Sie nicht wertvolle Zeit verstreichen. Aufgrund der anstehenden Kommunalwahl wird es 2009 keine Entscheidung geben, SPD und CDU werden sich aus Angst vor unpopulären Entscheidungen nicht bewegen.
Wenn schon die Landesregierung die Abstimmung mit den Füßen, weg von den Hauptschulen, nicht akzeptieren will, so sollte doch die Hattinger SPD die im letzten Jahr praktizierte Schizophrenie aufgeben, hinter „ihrer“ Hauptschule herzugreinen und im Land großspurig die Abschaffung des Dreigliedrigen Schulsystems zu fordern.

Zur Kultur nur zwei Sätze: Wir freuen uns auf eine hoffentlich fruchtbare Zusammenarbeit mit unserem neuen Dezernenten. Wir wünschen ihm einen erfolgreichen, engagierten Einstand in seiner Tätigkeit.

Über den Etat habe ich noch kaum ein Wort verloren. Arm ist Hattingen immer noch. Fast 7 Mio € fehlen.
Ernüchternd ist dies vor dem Hintergrund einer Hochkonjunktur, die durch ihren Geldfluss einige Schwierigkeiten abmilderte. Aber auch für die Kommunen gilt, was für die meisten Menschen in Deutschland gilt: Unten kommt nichts an vom Zugewinn („Volks“einkommen ist ja wohl Quatsch).
Dies dürfte aber nicht der Grund gewesen sein, dass in dieser Etatberatung kaum über Zahlen und Summen diskutiert wurde.
Eher war es die neue, ungewohnte Form des NKF, die uns alle noch verhaltener agieren ließ als die Jahre zuvor.
Eine weitere Schwierigkeit im Umgang mit den Finanzen der Stadt sind die fehlenden Vergleichszahlen aus dem Vorjahr sowie die andere Systematik der Bilanzierung.
Positiv bewerte ich die dadurch schier erzwungene Konzentration auf politisches Denken im Rahmen der Beratungen. In den letzten Jahren erschienen mir manche Debatten wie das Gebaren von Krämern, die um kleinste Sümmchen feilschen, ohne dass wir wussten, welchen Effekt wir damit auslösten.
Jetzt müssen wir Ziele oder Kennzahlen benennen – und das ist die originäre Aufgabe von Politik. Es gilt nicht mehr: „Verwaltung, hier hast du ein bisschen mehr Geld – nu mach mal“. Ich betrachte das NKF als Aufwertung und Gewinn für die Politik in ihrem Zusammenspiel mit der Verwaltung.
Ein letzter Gedanke sei mir hier noch erlaubt. Schulden haben wir immer noch. Dennoch sind wir aus dem Haushaltssicherungskonzept raus. Der Etat gilt bilanziell als ausgeglichen.
Wie praktisch. Die überfällige Gemeindefinanzreform ist damit vom Tisch.
Haben Sie etwas dazu gehört? Verbreiterung der Bemessungsbasis? Verstetigung der kommunalen Einnahmen?

Fragen Sie mal Ihren Landtagsabgeordneten!

Stefan Kietz-Borgwardt
GRÜNE/FWI

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